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Googles Übermacht ist brandgefährlich für unsere Zukunft

Wir haben Angst vor Google. Ich muss das einmal so klar und ehrlich sagen, denn es traut sich kaum einer meiner Kollegen, dies öffentlich zu tun. Und als Größter unter den Kleinen müssen wir vielleicht auch in dieser Debatte als Erste Klartext reden“, schreibt Dr. Mathias Döpfner in einem offenen Brief an Eric Schmidt in der FAZ. Döpfner ist Vorstandsvorsitzender von Axel Springer SE, einem Verlagshaus, dass mit der Bild-Zeitung Europas größtes Boulevard-Blatt herausgibt. So ganz klein kann der Laden also nicht sein. Der Verlag hat im Sommer 2013 angekündigt, etliche Titel für rund eine Milliarde Euro an die Funke-Mediengruppe verkaufen zu wollen. Der Deal geht wohl durch und nicht wenige meinen, Springer hätte den digitalen Wandel begriffen und konzentriere sich nun auf zukunftssichere Projekte. Und so jemand soll Angst vor Google haben?

Schwer zu glauben, umso mehr überrascht die Lektüre des Briefes, denn diese Angst zuzugeben erfordert Mut. Davor habe ich großen Respekt. Über 100 Artikel findet Google News zu dem Thema. Andere Verlagshäuser greifen dankbar auf, was Döpfner formuliert: “Google braucht uns nicht. Aber wir brauchen Google. Und auch wirtschaftlich bewegen wir uns in anderen Galaxien. Mit vierzehn Milliarden Jahresgewinn macht Google etwa zwanzigmal so viel Profit wie Axel Springer.”

Ich bewege mich wiederum in anderen Galaxien, was den Vergleich zu Springer angeht. Doch hieß es, das Internet sei die Chance für Journalisten, ihre eigenen Verleger zu werden. Ja, schön, aber wenn der Google-Suchindex meine Texte nicht ganz vorn platziert, werden die Artikel nicht gefunden und somit auch nicht gelesen. Zudem hat Google einen direkten Einfluß darauf, wie ich mit meiner Webseite Geld verdiene. Google ignorieren, eine andere Suchmaschinen nutzen? Ein naiver Einwand bei 91,2 Prozent Marktanteil in Deutschland.

 Niedliche Tiernamen, aber böse Wirkung

Angefangen hat das Dilemma mit einem dieser Updates, die Google nach Tieren benennt. Auf einmal war ein Viertel meiner Leser weg und ich mir keiner Schuld bewusst. Diese Updates sollten inhaltsstarke Seiten weiter nach vorn bringen und Link-Spam aufspüren. Prima, danach hätten sich meine Zugriffe vervierfachen müssen. Nichts da, bis heute setzt sich der schleichende Leserverlust vor. Daran ist nicht allein Google schuld: wachsende Themenkonkurrenz und eine gewisse Ermüdung beim Thema iPhone spielen sicher auch eine Rolle.

Was mich viel mehr nervt, ist die Bevormundung beim Geld verdienen. Adsense-Anzeigen darf ich einbinden, doch bringen die nur die berühmten “Lousy Pennies” und wie viel Prozent man als Seitenbetreiber vom Umsatz durchgereicht bekommt, bleibt Googles Geheimnis. Bei mir fragen in schöner Regelmäßigkeit Agenturen an, die für Kunden einen Gastbeitrag oder einen Link buchen möchten. Klar doch, immer gern, da schreibe ich dann aber Advertorial oder Sponsored by… drüber. Wenn ich das am Telefon sage, ist am anderen Ende der Leitung Ruhe oder das Klick vom Auflegen zu hören. Das will niemand, denn wenn derartig verräterische Wörter im Text stehen, wertet Google den Beitrag ab. Somit musste ich mich entscheiden: Journalistische Standards einhalten oder Geld verdienen? Raten Sie mal, wofür ich mich entschieden habe. Ich kommuniziere das ganz offen in meinem Impressum. So, jetzt zeigen Sie mit dem Finger auf mich, weil ich das Gebot der Trennung von redaktionellen Inhalten und Werbung aufgehoben habe. Da müssen Sie auf eine komplette Branche zeigen, denn unter dem Schlagwort “Native Advertising” macht diese Werbeform gerade Karriere.

Ich schreibe nicht mehr für Menschen, sondern für Maschinen

Was die Zugriffszahlen angeht, hatte Döpfners Brief beruhigende Wirkung auf mich. Ich bin nicht allein. “Wenn Google einen Algorithmus ändert, bricht bei einem unserer Tochterunternehmen in wenigen Tagen der Traffic um 70 Prozent ein. Das ist ein realer Fall. Und dass dieses Tochterunternehmen ein Wettbewerber von Google ist, ist dabei sicher Zufall“, schreibt Döpfner. Was der Medienmann da im letzten Halbsatz andeutet, ist interessant. Und man stellt sich die Frage: Wie transparent ist das Unternehmen eigentlich, was seinen Suchindex angeht? Können wir davon ausgehen, dass Google nichts Böses tut und unliebsame Meinungen oder Produkte der Wettbewerber nicht klammheimlich auf Seite zwei verbannt? Nein, wirklich sicher können wir nicht sein. Also klammern wir uns an das, was die vermeintlichen SEO-Experten aus ihrer Kristallkugel herauslesen. Ich hasse es, aber ich schreibe inzwischen für Maschinen und nicht mehr für Menschen. Ich schaue in mein SEO-Plugin und erst wenn möglichst viele Punkte grünes Licht zeigen, klicke ich auf Veröffentlichen.

 Was will man Google vorwerfen?

Den Konzern haben zwei Doktoranden in der berühmten Garage gegründet und aufgebaut. Es ist ja nicht so, dass Google ein staatliches Monopol zugefallen wäre. Der Netzwerkeffekt spielt der Suchmaschine in die Arme. Was will man da kritisieren? Fairerweise muss gesagt werden, dass Google mit seinen diversen Diensten das Internet für die Massen überhaupt erst bedien- und benutzbar gemacht hat. Ich denke da an die Suchmaschine, Youtube, den Browser Chrome, das Betriebssystem Android, Music, Docs, Drive, Translator, Gmail und nicht zuletzt die Karten mit Streetview und Google Earth. Mir als Webseitenbetreiber erleichtern Google Analytics, Adsense und die Webmastertools das Leben.

Die Verlage hätten doch auch auf die Idee kommen können, dass nicht bunte, blinkende Banner die Zukunft des digitalen Werbemarktes sind. Sie hätten ja auch context-relevante Textanzeigen, mit niedrigen Einstiegs- und Verbreitungshürden etablieren können. Haben sie aber nicht und nun dominiert Google den Werbemarkt und das ist nicht mehr zurückzudrehen.

Doch die schleichende Ausbreitung der bezahlten Inhalte erschreckt. Könnt Ihr Euch noch an die aufgeräumte, übersichtliche Seite mit den Suchtreffern zum Start von Google erinnern? Dann schaut heute mal (siehe Screenshot). Bei der Suche nach “Lebensversicherung” haben gerade mal drei unbezahlte Suchtreffer in meinem Browserfenster Platz. Wie Google Unternehmen beim Suchmaschinenmarketing über den Tisch zieht, hat Ben Edelmann von der Harvard Business School eindrucksvoll auf der Veranstaltung Online Marketing Rockstars 2014 in Hamburg erläutert.

Google greift in immer mehr Geschäftsmodelle von Start-Ups hinein. Beispiel Preisvergleiche. Mit Google Compare wird das Unternehmen bald in auch in Deutschland Preisvergleiche für KfZ-Versicherungen, Hauskredite und andere Finanzprodukte anbieten. Einen Flugpreisvergleich gibt es für Deutschland bereits. Heute ein Unternehmen zu gründen, das auf den automatisierten Vergleich von Daten setzt, macht keinen Sinn mehr. Das kann Google mit seiner Entwickler-Macht in wenigen Tagen von rechts überholen.  Das Internet ist unwiderruflich an Google verloren. Da habe ich keine Hoffnung mehr, schließlich sehe ich weit und breit keinen würdigen Wettbewerber. Aber die übrigen Lebensbereiche sollten wir nicht auch noch dem Konzern aus Mountain View überlassen.

Die Zukunft darf Google nicht allein gestalten

Hinter den Türen von Google X wird die Zukunft entwickelt. Hier entstand beispielsweise die Datenbrille Google Glass. Der Konzern hat schier unerschöpfliche Geldreserven, um entweder Dinge zu erfinden oder Erfinder zu kaufen. Einige Beispiele gefällig: In Sachen Hausautomation ist Google Dank der Übernahme von Nest gut aufgestellt. Kürzlich wurde Titan Aerospace gekauft. Deren solarbetriebenen Drohnen sollen im Projekt Loon neben Ballons fliegende Internetzugänge in die entlegensten Winkel unseres Erdballs bringen. In US-Ballungsräumen bringt Google mit eigenen Glasfasernetzen die Daten in die Haushalte. Google hält eine Beteiligung an Ivanpah Solar Power, der weltgrößten Solar-Thermie-Anlage in der kalifornischen Mojave-Wüste und der Hersteller von Höhenwindanlagen, Makani, ist inzwischen ein Tochterunternehmen. Der Konzern forscht an selbstfahrende Autos und wird mit Android Wear an Bewegungs- und Gesundheitsdaten von Millionen Menschen kommen, die Wearables tragen. Das Google-Projekt Calico forscht an unendlichem Leben und 23andMe (betrieben von Sergey Brins Ex-Frau und Geld von Google Ventures) bietet heute bereits bezahlbare Gen-Analysen für jedermann.

Wer könnte Google in seine Grenzen weisen? Die Politik. Doch zumindest in den USA ist Google ganz nah dran an den Entscheidern. Mit 14 Millionen Dollar gehörte Google 2013 zu den größten Lobbyisten in Washington D.C, da nehmen sich die 3,37 Millionen Dollar von Apple geradezu mickerig aus. Angefangen hat Google zehn Jahre zuvor mit rund 100.000 Dollar, um sich in der US-Hauptstadt Gehör zu verschaffen.

Die Verlage sind der Anfang, nicht das Ende. Somit sollte jede Branche, wenn nicht Angst, dann zumindest Respekt vor Googles Aktivitäten haben.

 

Dirk Kunde: Dirk Kunde ist Journalist und Autor. Den roten Faden seiner Arbeit bildet die Frage: Wie verändert die Digitalisierung unser Leben? Dabei spielt Mobilität durch Smartphones, Tablets und Apps eine entscheidende Rolle.

Kommentare anschauen (1)

  • Vielen Dank für Ihren Artikel, Herr Kunde. Er erwähnte mir unbekannte Aspekte und ich denke die Kernaussage ist doch: Übermacht eines Einzelnen, selbst wenn sie wirtschaftlichen Ursprungs ist, ist gefährlich für die Anderen. Eine Aussage, die ich im Wirtschafts-Zusammenhang nicht oft höre, wo doch alles nach vermeintlicher Wirtschaftlichkeit ausgerichtet ist, und der Zuwachs dessen unhinterfragt verfolgt wird.

    Wichtig ist mir dabei, dass ich Googles Übermacht nicht deswegen für brandgefährlich halte, weil es Google ist, sondern wegen der Übermacht.
    Dass hier ein Großer wie der Springer Verlag über seine Angst spricht, unterstreicht für mich die Übermacht Googles. Auch wenn sich Springer neben Google als Kleiner fühlt, bleibt für mich, dass ich auch oft genug Angst vor dem Einfluss des Springer Verlags habe.

    Also ja zur Anerkennung von Übermacht als Gefahr. Aber nein dazu, dass Google die einzige Übermacht sei und Springer beispielsweise nicht.
    Ich denke, es wird noch einige Zeit dauern, bis das Großsein an sich als Problem registriert wird. Und hier ist Größe natürlich relativ zu den Kleinsten zu verstehen und keine absolute Eigenschaft; weshalb auch ein sich klein fühlender Springer schon zu groß sein kann.
    Stattdessen, und darauf wird auch Dr. Mathias Döpfner hinaus wollen, wird das "Kleinsein" weiter als Problem gesehen werden. Denn angeprangert wird ja nicht unbedingt, dass Google so groß ist, sondern dass man sich daneben so klein fühlt -- man wär halt auch gern größer.

    Allen, die diesem sinnlosen Unterfangen nach klugen Lösungen in einem dummen Spiel den Rücken kehren wollen, kann ich folgendes empfehlen:
    sich mit der Postwachstumsoekonomie befassen (beispielsweise durch die Inhalte der Degrowth-Konferenz im September diesen Jahres in Leipzig) und in den alten, weisen und versöhnenden Aussagen bspw. Leopold Kohrs, der bereits lange schon auf Probleme der (Über-)Größe hinwies, Trost und Rat finden.

    Übersichtlichkeit, Verständlichkeit, Kleinheit, Vielfältigkeit galten einst als Werte. Und auch in der Wirtschaft sind doch viele Akteure, die sich auf Augenhöhe bewegen, erst ein interessanter Markt mit Menschen. Doch davon sind wir weit entfernt, selbst ohne Google und seinem kleinen Bruder, das Verlagshaus mit dem Zwanzigstel an Jahresgewinn.

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